„Denk an Corona ich in der Nacht …“

„Denk’ an Corona ich in der Nacht, …“ usw. usf., dann muss ich doch unweigerlich darüber nachdenken, warum wir Menschen uns so schwer tun, daraus zu lernen. Und damit meine ich  tatsächlich bloß lernen im Sinne von „mal über etwas ganz anderes nachdenken“. “ Alles könnte anders sein“, meint Harald Welzer, wir müssen „Die Welt neu denken“ Maja Göpel. Ja, das sind deren Buchtitel, schon oft zitiert (na und?!), sie sind programmatisch, und unterstützen jede gedankliche Anstrengungen, alternative Möglichkeiten menschlichen Zusammenlebens zu denken! Orientierung bietet dabei die kulturelle Vision von Nachhaltigkeit, was soviel bedeutet wie jeden Veränderungsprozess, wirklich jeden, daran auszurichten, und daraus dann die Konsequenzen für institutionelle, technische, ökonomische Entwicklungen abzuleiten.

Spätestens die Corona-Pandemie macht auch noch dem unbedarftesten Menschen klar, dass  es so, wie es bis jetzt gelaufen ist, nicht weitergehen kann: Klimakatastrophe, Hungerkatastrophe, Umweltkatastrophe sind nur drei Stichwörter, es gibt noch viele. Ohne wissenschaftlichen Zweifel, und das wissen wir seit 1974, steuern wir Menschen geradewegs auf einen Abgrund zu. Dass wir das noch abwenden können, ist sicher. Theoretisch. Dass die Gegenmaßnahmen schnell, innerhalb der nächsten ca. 5 Jahren, erfolgen müssen, ist auch sicher. Die Aufforderung, etwas zu verändern, löst bei Menschen keine unmittelbare Euphorie aus. In konkreten Fällen kann es bald zum guten Ton gehören („Ich verwende kein Plastik mehr!“), weil jede*r betroffen, es scheinbar einfach verständlich, und die Konsequenz („Plastik in der Nahrungskette!“) nachvollziehbar ist. Bei Themen wie der Klimakatastrophe ist die Komplexität nicht ganz so leicht zu greifen, weshalb das abstrakte Denkvermögen der menschen gefordert ist.

Und da nimmt das Unheil dann seinen Lauf. Anstatt, wie im Fall Corona, die Erkenntnis völliger Ahnungslosigkeit das Hören auf Expert*innen umstandslos nahelegt, jedenfalls bei den meisten, stimmt man lieber in die Kakophonie derjenigen ein, die die Klimakatastrophe schlicht leugnen. Das ist einfacher. Ja, das ist es. Aber auch blöd! Noch blöder ist es allerdings, sich ein gutes Gewissen zu erschleichen, indem man sich selbst als „Querdenker“ bezeichnet. Das missbraucht einen wirklich guten Begriff, den aus dieser Umarmung zu retten sich unbedingt lohnt. Wenn es wenigsten mit Doppel-„e“ geschrieben würde, dann hätte das noch einen Hauch launiger Ernsthaftigkeit. Aber so, … Querdenken ist ein integraler Bestandteil wissenschaftlichen Fortschritts. Jede Neugier wird irgendwann konkret, wenn sie das Gegebene „gegen den Strich bürstet“, das Etablierte, das Selbstverständliche hinterfragt, Routinen und Traditionen kritisiert. Eine substanzielle Frage zu entwickeln hat viel mit Nachdenken zu tun. Eine substanzielle Frage führt in eine neue Perspektive, sie kann begründet werden, ist konstruktiv und lösungsorientiert. „Warum führt uns Merkel in eine Diktatur?“ ist keine substanzielle Frage, genauso wenig wie „Wieso wollt ihr weiterhin Schafe sein?“ Die Bewegung der sog. Querdenker zeichnet sich also gerade dadurch aus, dass die Beteiligten das nicht tun, was der Begriff nahelegt: Denken!

Und dabei gibt es doch wirklich genug Ansatzpunkte, wie eine Gesellschaft gestaltet sein könnte, die anders funktioniert als unter dem Diktat des ewigen Wachstums. Stichwort Gemeinwohlökonomie. An dieser Art Ökonomie ist interessant, dass sie sich an Vertrauensbildung, Wertschätzung, Kooperation und Solidarität orientiert. Es hat sich inzwischen rumgesprochen, dass Kooperation Menschen viel nachhaltiger motiviert als Konkurrenz, was fast 90 Prozent aller Untersuchungen aus der Spieltheorie, der Sozialpsychologie und der Neurobiologie zeigen. Zusammenarbeit begünstigt Vertrauen, Offenheit und gelingende soziale Beziehungen, Konkurrenz arbeitet mit Angst und Ausgrenzung.

In Artikel 14 des Deutschen Grundgesetzes heißt es: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen.“ Dieser Maßstab legt nahe, dass die aktuelle Art des Wirtschaftens dem Geist des Grundgesetzes widerspricht. Die Gemeinwohlökonomie hingegen würde ihm voll und ganz entsprechen, denn sie würde ihre Rendite mit den Werten Menschenwürde, Gerechtigkeit und Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit und demokratische Mitbestimmung bilanzieren, – sie wäre eine ethische Marktwirtschaft. Die Lebensqualität der Menschen würde steigen, weil sie sich durch Teilhabe wieder stärker einer sozialen Gemeinschaft zugehörig fühlen würden, auch wenn voraussichtlich der materielle Wohlstand sich verringern würde. Aber wie dem auch sei: Wenn wir weiterhin unsere lebensnotwendigen Ressourcen zerstören, wird das Gemeinwohl viel stärker in der Volkswirtschaft beachtet werden müssen. Zwangsläufig.

Da all das, wie immer, von der Entschlossenheit der politisch Handelnden abhängt, ist eine dermaßen grundsätzliche Veränderung immer von der Einsichtsfähigkeit und der Akzeptanz der betroffenen Menschen abhängig. Und betroffen sind wir alle! „Die menschen mitnehmen“ ist dabei eine sprachliche Sentenz, die nahelegt, dass diejenigen, die Bescheid wissen, die anderen, die (noch) nicht Bescheid wissen, sachte und einfach über die Notwendigkeit der Veränderung aufklären. Harald Welzer hat vor kurzem über diese sprachliche „Normalität“ reflektiert. Er dachte quasi laut darüber nach, dass mit dieser Formulierung die arrogante Haltung des Besserwissers (nicht gendern!) daherkommt, erfolgreich als Empathie verkleidet. Er möchte gerne zur Demaskierung beitragen, und nicht nur die Formulierung nicht mehr verwenden, sondern auch für eine andere Art der sozialen Begegnung plädieren: Ein vorurteilsfreies aufeinander Zugehen, das von der Vorstellung geprägt ist, diejenigen, denen ich da begegne, haben auch über vieles nachgedacht, und auch schon gute Lösungen für einige Problem entwickelt.

Mich hat das an die Aussage von Hans-Georg Gadamer erinnert, der einst meinte: „Ein Gespräch setzt voraus, dass der andere recht haben könnte!“ Er meint damit eine Haltung des tastenden Fragens, motiviert durch Interesse. Die Haltung des Rechthabens und des „Immer-schon-Bescheid-wissens“ macht ein Gespräch, einen Dialog bereits im Ansatz zunichte. Die zunehmende Unfähigkeit, der eigenen Rechthaberei und Besserwisserei zu widerstehen halte ich für ein markantes Charakteristikum unserer Zeit, zugespitzt: für einen Offenbarungseid menschlicher Kommunikation. Die Forderung also sich zurückzuhalten, besser zuzuhören, Fragen zu stellen, interessiert nachzufragen, verstehen wollen, – all das ist nicht nur eine Frage der individuellen Kommunikationsfähigkeit. All das hat eine globale politische Dimension, all das berührt unsere menschliche Existenz. 

Zum Thema „Gemeinwohlökonomie“ gibt es hier einige einführende Beschreibungen vom Deutschlandfunk und von der Stiftung Futur zwei.

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