Ich habe nicht recht! Allein die Vorstellung – ein Graus!

Es geht ums Rechthaben. Mal wieder. Ja, das beschäftigt mich ständig. Inzwischen halte ich es für das entscheidende Charakteristikum im kollektiven Nichtverstehen. Die meisten Gespräche, wenn sie diese Bezeichnung verdienen, sind geprägt von der Haltung des „Recht-Haben-Wollens“! Warum eigentlich? Wie wir wissen, setzt ein Gespräch voraus, dass der andere recht haben könnte. Jedenfalls hat uns das Gadamer, der Heidelberger Philosoph, mal deutlich unter die Nase gerieben. Und natürlich meinte er damit keine rhetorische Unterwerfungsgeste, sondern, eingedenk der Option falsch liegen zu können, eine Haltung des vorsichtig-tastenden Formulierens! Das ist eine zutiefst vernünftige Herangehensweise, allerdings braucht sie einiges an Disziplin. Und Demut! Nun ja, das hatte ich ja bereits mehrfach ausgeführt.

Doch ein Blick in die Kommunikationskultur in Pandemiezeiten betrübt das Auge und steigert den Hang zur Verzweiflung. Ganz schlimm wird es, wenn ich auf die Unterhaltungen schaue, die sich Gespräche nennen. Eine Aneinanderreihung von konkreten Erlebnissen („Alma hat sich jetzt einen Hund gekauft“), von Meinungen, die sich als fundamentale Erkenntnisse verkleiden („Tomaten aus dem eigenen Garten sind die besten!“), von altersbedingten Krankengeschichten („kein Schweinefleisch bei Gicht“) oder technischen Spielereien wie der neuesten Wetter-App („beste Prognose ever!“) oder den Kapriolen des Navi’s („geradeaus hat sie gesagt! Da war aber Wasser!“). Der Gipfel an Egozentrik ist die Verweigerung eines Gesprächs mit der Behauptung, die oder der andere habe eben keine Ahnung von der Materie!

Es gibt Menschen, deren Gesprächszeiten sich problemlos damit füllen lassen. Ich habe den Eindruck, dass es immer mehr Menschen werden, bei denen das so ist! Bei mir steigt im gleichen Maße die Verzweiflung und der Ärger darüber – zwar noch immer ein wenig spielerisch („alles nur eine Phase, Corona ist schuld, das geht vorbei!“)“, aber doch auch immer ernsthafter („das macht mich wahnsinnig – wen interessiert denn das alles?!“). Denn das Problem ist ja nicht, dass diese Erzählungen erzählt werden. Sondern dass es außer diesen Erzählungen wohl nichts mehr gibt, worüber sich zu sprechen lohnt. Klima, Pandemie, Europa, Religion, (Kommunal-)Politik, Wahlen (!), … alles kein Thema, mit dem Hinweis auf mögliches Streitpotenzial abmodertiert. Sehr befremdlich.

Woher kommt das? Ist es krankhaft? Lässt es sich abstellen, kurieren? Oder auch nur beeinflussen? Ich bin mir nicht sicher. Jedenfalls kostet es mich zunehmend mehr Kraft, einen kommunikativen Kontrapunkt zu setzen. Denn immerhin geht es darum, ein Gespräch, eine Diskussion konstruktiv zu entwickeln. Und nicht, den moralischen Stinkfeiner vorzuhalten. Wie immer gibt es wohl mehrere Gründe. Einer ist sicher der, dass wir uns über einen langen Zeitraum von der Anstrengung entwöhnt haben, die es braucht, konzentriert Argumente zu entwickeln und auszutauschen. Dabei spielt natürlich eine Rolle, wie die Entwicklung des Smartphones sich auf unser Denkvermögen auswirkt, ein Zusammenhang, den ich keineswegs willkürlich herstelle, sondern der eine gesicherte Erkenntnis der aktuellen Hirnforschung ist. Psychologisch ist wohl nicht zu unterschätzen, dass ein über Jahre festgefügtes Meinungsgebilde möglichst nicht erschüttert werden soll, weil die ganze Persönlichkeit daran hängt. Eine Kritik daran hätte unter Umständen auch existenzielle Folgen, die eigene Geschichte müsste vielleicht in Teilen neu geschrieben werden. Das ist nichts, worauf man sich freut.

Es spielt sicher auch eine Rolle, wie Sprache im öffentlichen Raum verwendet wird. Georg Schramm thematisierte die „Herrschaftssprache“ in mehreren seiner Programme. Er meinte damit die phrasenhafte Sinnentleerung der öffentlichen Sprache und damit die Pervertierung ihres eigentlichen Existenzgrundes, nämlich den der Verständigung zwischen den Menschen. Wunderbar einprägsam im folgenden Schramm-Zitat: 

„Interessensverbände machen die Politik. Die ziehen die Fäden, an denen politische Hampelmänner hängen, die uns auf der Bühne der Berliner Puppenkiste Demokratie vorspielen dürfen. Diese Politfiguren dürfen dann in den öffentlich-rechtlichen Bedürfnisanstalten bei den Klofrauen Christiansen und Illner ihre Sprechblasen entleeren. Und wenn bei der intellektuellen Notdurft noch was nachtröpfelt, dann können sie sich bei Beckmann, Lanz und Kerner an der emotionalen Pissrinne unter das Volk mischen. Und ab und zu wird die Klofrau ausgewechselt und die heißt dann Jauch. Was auch irgendwie prophetisch ist!“

Klar, das ist drastisch. Aber im Kabarett macht die Formulierung die Musik. Und die hier ist unüberhörbar.

Ergalso (hätte Malmsheimer gesagt), was tun? Ignorieren kostet viel Kraft, zuviel auf Dauer. Außerdem würde es den begonnenen Rückzug in die Innerlichkeit beschleunigen, keine verheißungsvolle Perspektive. Aber immer wieder intervenieren, Position beziehen, Einspruch erheben etc. kostet auch Kraft. Und man macht sich nicht nur keine Freunde, man verliert auch welche. Irgendwie auch keine tolle Alternative. Tja, so bleibt alles anders, meinte Grönemeyer, auch wenn keiner genau weiß, was er damit gemeint hat. Aber vielleicht ist die Interpretation hilfreich, die uns einen großzügigen, ernsthaften, humorvollen, verständnisvollen Umgang miteinander nahelegt. Das soll unbedingt so bleiben, muss aber immer wieder neu justiert, immer wieder neu abgestimmt, immer wieder neu erkämpft werden! Auch wenn es ein zunehmend einsamer Kampf ist.

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