Im Brackwasser der Beliebigkeit untergegangen!

Tatsächlich: Es ist Zeit, sich um ein vernachlässigtes Thema, also um Rhetorik, zu kümmern! Es handelt sich dabei um  einen Begriff mit negativer Konnotation. Er bedarf der Errettung aus dem Schmuddeleck der Manipulation! Einer langen, griechisch-römischen Tradition folgend, war die Rhetorik immer vor allem Überzeugung, nicht Überredung. Im Zentrum stand deshalb immer das Argument. Ja, es stimmt, da gibt es Graubereiche, in denen sich unsere Kommunikation auch heute noch vorwiegend abspielt. Und ja, Rhetorik ist ambivalent, janusköpfig, und von den Brüllreden der Nazis diskreditiert! Gleichwohl hat sie ihre Relevanz für eine demokratische Gesellschaft, ist das doch gerade ihre Wurzel: Aristoteles formulierte das erste Lehrbuch für Rhetorik, Cicero entwickelte sie zur Perfektion. Als eine der septem artes liberales, der sieben freien Künste, war sie etablierter Bestandteil einer demokratischen Gesellschaft. Sie war darin tief verwurzelt, weil nur mündige Bürger von einem Redner überzeugt werden können. Unabhängig denkende Bürger wollen überzeugt werden, nicht überredet!

In Amerika hat diese Haltung freier Bürger eine deutlich längere Tradition, als in Deutschland. Der Untertan hier schweigt und gehorcht! Eine Mentalität, die immer noch weit verbreitet ist! Und die gerade im Europa des Humanismus‘ und der Aufklärung endlich radikal verändert werden muß! Kommunikation, in diesem Kontext vor allem der Austausch von Argumenten, das Ringen um die bessere Argumentation, ist von essenzieller Bedeutung für die Meinungsbildung in einer Demokratie. Rhetorik muss sich zwar weiterhin gegen den Verdacht behaupten, manipulativ zu sein. Gleichzeitig ist sie als analytisches Instrument aber wichtiger denn je, um Propaganda zu entlarven. Die ars bene dicendi, die Kunst, gut zu reden, meint beides: Gut zu sprechen, und das Gute (also das Richtige) zu sagen.

Und das lässt sich lernen! Auch in Zeiten von Power-Point! In angelsächsischen Ländern gibt es Kurse in critical thinking, in denen gelehrt wird, was gute, und was schlechte Argumente sind, bzw. nur eine Meinung ist, eine Unterscheidung, von der die wenigsten überhaupt etwas ahnen. In Deutschland gibt es meines Wissens nur in Tübingen einen eigenen Lehrstuhl für Rhetorik, auf Initiative von Walter Jens in den 1960er Jahren gegründet.

Und weil ich dieses Thema für so wichtig halte, sei hier mal eine Lanze gegen die Manipulation und das Überreden, gegen subtile „Über-den-Tisch-zieh'“-Techniken und emotionale Täuschungsmanöver gebrochen. Und wenn ich gerade dabei bin, auch gegen besserwisserische Phrasendrescher und hohlköpfige Kurzdenker, undifferenzierte Pauschalverurteiler und dogmatische Wahrheitsverkünder. Und überhaupt sei gegen alle gelanzt, die sich diese komplexe Welt unbeirrbar und in illusionärer Eindeutigkeit immer noch in die „entweder-oder“-Kategorien einteilen!

Denen sei zornig entgegengerufen: Wir leben in einem Provisorium, Improvisation ist eine überlebenswichtige Kompetenz geworden, Kommunikation fundamental. Das „entweder-oder“-Denken reicht als Erklärung für Entwicklungen schon längst nicht mehr aus. Und taugt auch nicht als Handlungsanleitung! Es gaukelt Klarheit vor, wo Unklarheit herrscht. Es wird Zeit für eine neue Aufklärung, eine systematische Ent-Täuschung., für ein „entschiedenes sowohl-als auch“!

Dabei sollten uns natürlich diejenigen unterstützen, auch beispielgebend vorangehen, die in dieser Gesellschaft Verantwortung tragen, und ergo in den Medien omnipräsent sind. Gerade deshalb sind sie auch für die desolate Sprache verantwortlich, die allenthalben zu hören ist. Eine nahezu perfekte Art zu reden, ohne etwas zu sagen! Oder etwas so zu formulieren, dass es niemand versteht. An ihrem Auftrag, den Menschen Absichten, Pläne, Entscheidungen zu vermitteln, und sie in ihrer Willensbildung zu unterstützen, scheitern sie grandios. Ihre mit Phrasen und unbestimmten Formulierungen durchsetzte Sprache provoziert ein Höchstmaß an Unklarheit und Unverbindlichkeit, ein wortreich verdecktes Unverständnis.

Das Schlimmste allerdings ist die Konsequenz, dass die Menschen das Vertrauen in ihre Eliten verlieren. Es zeigt sich daran, dass sie sich von Parteien und anderen gesellschaftlichen oder politischen Organisationen abwenden, Mitgliedschaften kündigen, gegen „die-da-oben“ mit einer inzwischen hasserfüllten Sprache öffentlich wettern. Es zeigt sich daran, dass sie gedankenlos irgendwelchen dumpfbackigen Rassisten hinterher rennen, irrlichternden YouTube-Prominenten folgen, ihre ohnmächtige Wut auf Ungerechtigkeit und Marginalisierung in neuen Gruppen und Parteien wirksam werden lassen, – all das sind Konsequenzen einer technokratischen, formalisierten, erstarrten, leblosen Sprache, die im „Brackwasser der Beliebigkeit“ bereits untergegangen ist! Ja, ich weiß, das ist eine meiner Lieblingsformulierungen von Georg Schramm. Und ja, das hat mich etwas, nicht sehr weit, weggeführt vom eigentlichen Thema. Na und?

Mehr zum Thema Rhetorik lesen möchte, dem sei ein Artikel von Andreas Sentker in der „ZEIT“ vom 29.09.16 ans Herz gelegt. Außerdem von Thomas Macho die Rhetorik der Krise, und ein Rhetorik-ABC für Vortragende. Und überhaupt alle Publikationen des Instituts für Rhetorik der Uni Tübingen.

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