Ja, alle sind richtig froh: Corona geht zu Ende. Ist zu Ende! Da habe ich wohl was verpasst! Gibt es Medikamente? Einen Impfstoff gar? Nein, gibt es alles nicht. Was also hat sich verändert? Nichts, bin ich geneigt zu sagen. Wenn ich allerdings medienvermittelt in die Welt schaue, habe ich den Eindruck, alles sei in bester Ordnung. Also so, wie es früher, vor Corona, war. Die ersten fliegen nach Malle, als „Versuchstouristen“, der gebuchte Urlaub im Hotspot Bozen wird angetreten, die Kurztrips nehmen zu – mal eben nach Kroatien, weil einem die Decke auf den Kopf fällt. Oder gleich ganze zwei Wochen in den wohlverdienten Familienurlaub. Damit wirbt auch die Tourismusbranche. Es sei erste Bürgerpflicht, nun wieder auf Teufel komm raus zu konsumieren, um der Wirtschaft wieder Schwung zu verleihen. Sich erholen, für die erlittenen Strapazen belohnen sind starke Motive, die zur Rolle rückwärts einladen. „Aber kann man Einladungen nicht auch absagen?“, hätte Jochen Malmsheimer unwirsch entgegnet. Natürlich kann man das! Es muss wirklich nicht der erstbeste Billigflieger sein!
Was haben wir aus der Corona-Krise gelernt? In einem schwachen Moment bin ich versucht, ein lautes „Nichts!“ in den Äther zu schreien. Es bleibt dann aber doch beim quasi-verzweifelten Achselzucken, garniert mit einem pastefkahaft-eruptiven Auflachen, wie es verzweifelten Menschen oft über die Lippen rutscht!Wenn ich eine Bitte in die Welt schicken könnte, dann die: Bitte steigt nicht gleich in jeden Flieger, bleibt zu Hause – und denkt nach.
Was inzwischen wirklich klar sein sollte: Kurztrips mit dem Flieger sind Mist! Das ist nichts anderes, als eine weitere falschverstandene Pflichtaufgabe. Sie verlängert die eingebildete to-do-Liste, und macht alles schlimmer: Den individuellen Stress, weil man nicht wirklich erholt zurückkommt („es war schön, aber anstrengend“!), die Klimakrise, weil sie den CO2-Ausstoß mehrt, die Beziehungen zu Freund*innen, weil die gemeinsame Zeit fehlt, das eigene Denkvermögen, weil es mit Eindrücken zugemüllt wird, die keiner braucht!
Hartmut Rosa, der Soziologe, hat beobachtet, dass die soziale Energie schwindet. Zunehmend mehr Menschen fehlt die Energie, den Alltag zu bewältigen. Er führt das unter anderem darauf zurück, dass die Corona-bedingte Entschleunigung, quasi eine Isolation, die Menschen so stark abgebremst hat, dass sie jetzt den Eindruck hätten, sie sein völlig antriebslos. Vieles wird gleichgültig, beliebig. Der Vereinsamungsprozess ist ebenso ungebrochen, wie dessen Betäubungsstrategien durch Aktionismus.
Ich teile diese Beobachtung, die direkt zu der wissenschaftlichen Frage führt, wie denn eine Gesellschaft ihre soziale Energie entwickelt. Und je mehr ich darüber nachdenke, je deutlicher entwickelt sich ein Bild von Interaktion, von Dialog. Es drängt sich mir die Vermutung auf, dass soziale Interaktion, gemeinsames Handeln, Miteinander-Reden ein nie versiegender Quell dieser besagten Energie sei. Womit ich allerdings auch bei der Frage bin, warum im öffentlichen Diskurs, warum bei den politisch Verantwortlichen diese Erkenntnis nicht gewürdigt wird. Ich würde gerne die Erfahrungen der letzten Monate aufgreifen, und diese Diskussion in die gesellschaftliche Mitte bringen. So, wie es war, soll es nicht mehr werden.
Ergänzend dazu das Interview mit Hartmut Rosa über soziale Energie, und der Hinweis auf ein Buch, das ich für eines der wichtigsten überhaupt halte, weil es die negativen Konsequenzen unserer Art zu wirtschaften aufgreift, und mit einem plausiblen Zukunfstentwurf kombiniert. Immer verstehbar, immer plausibel, immer klar, nie belehrend: „Die Welt neu denken“ von Maja Göpel. Als Anregung hier ein Gespräch, das Richard David Precht mit ihr führte. Eine ungehaltene Reaktion aus der SZ auf entspannte Analysen „Bessergestellter“ hier.