Nein, ich war noch nie ein Freund der elektronischen Handgelenksgerätschaften, dieses elektronischen Freundschaftsbändchen-Ersatzes für das wohlig-gruselige Gefühl, auf der vermeintlich richtigen Seite zu stehen. Gegen jeden Einwand gefeit mit dem lautsprecherischen Argument, es sei ja wohl vernünftig auf seine Gesundheit zu achten. Jenseits von Schritte zählen oder Puls messen, kommen nun Apps daher, die aber, Corona bedingt, noch ganz andere Sachen können. Mit dem Ziel, Quarantäne früher zu veranlassen, und damit Infektionsketten zu unterbrechen, soll diese Contact-Tracing-App („Pepp-Pt“) Kontakt zu Corona-Infizierten anzeigen. Das klang heilsbringerhaft-vernünftig, ist inzwischen aber so ausgehöhlt, dass sich international Wissenschaftler zu einem offenen Brief veranlasst sahen. Tenor: „Es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir bei der Bewältigung der gegenwärtigen Krise kein Instrument schaffen, das eine groß angelegte Erhebung von Daten über die Bevölkerung ermöglicht, weder jetzt noch zu einem späteren Zeitpunkt.“
Hinter all dieser Initiative steht, wie immer, die Frage nach dem „cui bono – wem nützt es?“ Und auch das ist, wie immer, die Frage nach der Macht: „Was passiert mit unseren Daten, wenn die Corona-Krise einmal vorbei ist?“ Es geht, auch wie immer, um das Vertrauen der Menschen in Staat und Unternehmen, das, bei allem Wohlwollen, nicht sehr stark ausgeprägt ist. Und wofür mir auch noch durchaus drastischere Formulierungen einfallen. Um aber eine an sich vernünftige Idee, nämlich mit einer App wirkungsvoll die Infektionsketten zu unterbrechen, umzusetzen, braucht es Vertrauen in die digitale Grundkonstruktion, und in die Integrität der handelnden Personen. Das ist die Krux.
Das ist sie auch für Heribert Prantl, den Kolumnisten der Süddeutschen Zeitung. Er macht seine Skepsis an der Freiwilligkeit fest. Zwar soll diese App freiwillig runtergeladen werden, der Hinweis, dass sie aber nur dann gut funktioniert, wenn möglichst viele das tun, setze Menschen sehr unter Druck. Dieser Einschätzung kann ich nur zustimmen. Das Prinzip der Freiwilligkeit verliert dann seinen Gehalt, seine Substanz, wenn ich zum Schluss derjenige bin, der nicht mitmacht, und mich dann dafür auch noch rechtfertigen muss! Strukturen werden sich entwickeln, die mit App einfacher genutzt werden können, als ohne, ein Leben ohne App wird zunehmend umständlicher, schwieriger, kräftezehrender. Das ist das Gegenteil von Freiwilligkeit. Und gerade im Gesundheitsbereich ist das ein äußerst gravierendes Unterfangen, ist da doch alles sensibel, weil intim. Das muss auch so bleiben, davon bin ich überzeugt.
Eine solche App ist für mich das weit offene Scheunentor in die weitere Digitalisierung all dessen, was Menschsein ausmacht. Sie befördert die datenbasierte Beantwortung von Fragen nach Rentabilität und Profit im Gesundheitsbereich, nicht nur, ob bestimmte Operationen sich für menschen eines bestimmten Alters „noch lohnen“. Sondern auch solche Entwicklungen, die wir aktuell schon von den Versicherungen kennen, dass nämlich bestimmte nachweisbare Verhaltensweisen zu geringeren Beiträgen führen. Die Auswirkungen auf unsere sozialen Beziehungen sind noch nicht genau zu beschreiben. Was aber zu erleben ist, lässt nichts Gutes vermuten. Die ohnehin erkennbare Spaltung der Gesellschaft wird dadurch noch verstärkt. Gegen die Aufspaltung unserer Gesellschaft kann jede*r etwas tun, auch wenn es zunehmend schwieriger sein sollte. Dass wir eine zutiefst gespaltenen Gesellschaft sind, sieht man u. a. daran, wie wir mit den alten Menschen, gerade in Zeiten einer solchen Krise, umgehen. Behandlungsbedürftigkeit ist das Stichwort, das einem selektiven Gesundheitswesen Tür und Tor geöffnet hat. Und dem wir wieder einen wirksamen Riegel vorschieben müssen. Flankiert von Optimierungswahnsinn und Effizienzarmbändern driften wir immer mehr in eine Wegwerfkultur, in der das Leben alter Menschen zweitrangig ist. Das humanitäre und demokratische Ethos unseres Zusammenlebens, das auch den Geist des deutschen Grundgesetzes ausmacht, macht keinen Unterschied zwischen den Menschen, auch nicht den des Alters. Verhalten wir uns entsprechend. Aktuell wird ein Appell der italienischen Religionsgemeinschaft Sant’Egidio veröffentlich, der dieses Thema aufgreift, und von vielen bekannten Menschen, wie z. B. Jürgen Habermas, unterschrieben wurde.
Und natürlich geht es NICHT um eine generelle Technikfeindlichkeit! Ich bin auch nicht gegen smarte, intelligente Lösungen, wie das unerträgliche Framing des Herrn FDP-Lindner nahelegt. Es ist viel schlimmer: Es geht um ein generelles Misstrauen gegenüber den Eliten, den handelnden Personen. Wenn unterschiedliche Epidemiologen mit unterschiedlichen Beurteilungen der aktuellen Pandemie an die Öffentlichkeit gehe, und sich nicht auf die jeweilig anderen Einschätzungen beziehe, ist das für das Vertrauen in die Wissenschaft eine Katastrophe. Es sind nur Epidemiolog*innen, keine Kommunikator*innen. Aber von Dialog, Akzeptanz und Verständnis als wesentlicher Funktion von Kommunikation hätten sie doch schon mal hören sollen. Sonst sind sie auch als Epidemiolog*innen eine Fehlbesetzung! Das gilt selbstredend und umstandslos auch für Politiker*innen!
Wie dem auch sei, hier sind die beiden Artikel, die ich zugrunde gelegt hatte: Aus ZEIT online: Beispiellose Überwachung mit der APP, und Prantl über Corona-APP.pages. Außerdem der Appell der Gemeinsachft Sant’Egidio.