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„Zorn ist mein Lieblingsgefühl …!“

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Was mich zunehmend erzürnt, – ja, natürlich, auch dass die Klimakatastrophe nicht mehr so im Fokus steht, wie sie sollte. Ich meinte jetzt allerdings etwas anderes, nämlich die schleichende Autokratisierung nicht nur, aber vor allem osteuropäischer Gesellschaften. Mit dem pauschalen Hinweis auf „Verrat an der nationalen Sache“ werden vermehrt regierungskritische Stimmen gewaltsam unterdrückt. Die nationale Sicherheit und Identität sind die Begründungsnarrative, um gegen muslimische Flüchtlinge, LGBTQ-Aktivisten oder gegen liberale Finanziers wie George Soros in Ungarn vorzugehen. Der äußere Feind ist identifiziert und gebrandmarkt, und damit damit zugleich jene Kräfte im Inneren, die angeblich ideologisch auf derselben Linie liegen. Es ist das sichtbare Merkmal einer Diktatur. Die nachgewiesene Wahlmanipulation in Belarus, sowie das gewaltsame Vorgehen gegen Demonstranten durch Lukaschenko, der Entmachtungsfeldzug gegen die Justiz in Polen durch Duda und Kaczynski, der beharrlich-konsequente Demokratieabbau von Orban in Ungarn, brutaler werdende Polizeigewalt gegen regierungskritische und unabhängige Organisationen durch Vucic in Serbien, der aggressiver werdende, religiös aufgeladene Nationalismus von Erdogan, der einen Krieg mit Griechenland billigend in Kauf nimmt, und überall die Einschränkung der Meinungsfreiheit durch verstärkte Kontrolle des Internets, der sozialen Netzwerke, der Presse, – all das ist für mich Anlass genug, mir Sorgen zu machen!

Die Kraft, die es mich kostet, um den Zorn angesichts dieser Entwicklung in Zaum zu halten, wird zusätzlich noch stärker beansprucht, wenn ich in die übrigen europäischen Länder schaue. Zunehmend rechtsnationale Regierungen, wie beispielsweise in Österreich, Holland, Großbritannien, Dänemark, Italien, lassen einen Präsidenten Macron wie einen Heilsbringer aussehen, obschon der auch nur die nationalen Interessen Frankreichs vertritt und damit den Status quo wahrt. Und das ist nur Europa, da habe ich Russland und China noch nicht bedacht, Bolsonaro in Brasilien noch nicht erwähnt, und, ja, Trump … Nun ja!

Die Ausgrenzung erfolgt überall über einen moralisierenden Nationalismus, der die Menschen, entlang eines Freund-Feind-Schemas, in gute und schlechte Menschen einteilt, Claqueure einerseits, Kritiker, Volksfeinde andererseits. Dass das nichts mehr mit demokratischen Strukturen, oder einer offenen Gesellschaft zu tun hat, zeigt auch eine Aussage Erdogan: „Demokratie (ist) ein Mittel, kein Ziel, eine Strassenbahn, von der wir abspringen, wenn wir am Ziel sind.“ Die Finanzkrise 2008, die Flüchtlingskrise 2015, die aktuelle Pandemie 2020 waren markante Wegmarken, die umstandslos deutlich machten, dass das demokratische Selbstverständnis in Europa nach wie vor sehr fragil ist.

Es ist die Aufgabe der europäischen Institutionen, und der Mitgliedsstaaten, dafür zu sorgen, dass dieser Entwicklung Einhalt geboten wird. Mit aller Macht und Konsequenz muss deutlich zum Ausdruck gebracht werden, dass diese Entwicklung zu kaum verschleierten Diktaturen ein Irrweg ist, der gestoppt werden muss. Dafür braucht es entschiedene und entschlossene Fürsprecher der Offenen Gesellschaft, die auf Regierungsebene offene Worte finden, und sich nicht aus erpresserischen Gründen in eine Position der Ohnmacht treiben lassen, wie im Flüchtlingsdeal der EU mit der Türkei. Es braucht integre Vorbilder mehr denn je, denn just im Moment denken viele Menschen an Alternativen zur aktuellen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, an eine andere Form des Wirtschaftens, des sozialen Zusammenlebens. Die Zeit scheint günstig für grundsätzliche Veränderungen, eine ganz andere Richtung, günstig für große Ideen, visionäre, phantasievolle Entwürfe einer anderen Zukunft.

Dazu passt mal so gar nicht die eindeutige Positionierung des SPD-Kanzlerkandidaten Scholz gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen, sekundiert vom anderen SPD-Verwalter Heil, der zwar als Arbeitsminister richtig gute Akzente setzt, wenn groß gedacht werden soll aber kleinlaut zurückweicht. Es sind eben alles keine charismatischen Menschen (JA, ich kenne die Ambivalenz des Begriffs und deren Konsequenz! Trotzdem!), sondern pragmatisch verwaltende Bürokraten, die in der Krise eine gute Arbeit machen, zuverlässig, verantwortungsvoll, wirksam. Nur leider haben sie keine visionäre Kraft, um eine Aufbruchstimmung entfachen zu können. Oder auch nur um einen ambitionierten Konzeptentwurf für eine künftige soziale Gesellschaft zur formulieren. Weder in der SPD, noch bei den Grünen, oder bei den Linken gibt es solche Menschen, Menschen, die die intellektuelle und emotionale Kraft haben, andere zu berühren, die richtige Themen ansprechen, wahrhaftig sind, – und gute Sätze formulieren! Der genaue Blick in die Landschaft des politischen Personals ist nun wirklich ernüchternd! Aber das ist ein anderes Thema, – nein, das ist es nicht, es gehört zusammen!

Gerade weil Europa kulturell eine einzigartige Tradition aufweist, die tief in Humanismus, in Aufklärung, Vernunft und Bildung wurzelt, ist es die Verpflichtung jedes*r einzelnen, sich intensiv darum zu bemühen. In Markus Gabriel, Harald Welzer, Maja Göpel und vielen anderen haben wir eine hervorragende wissenschaftlich-argumentative Unterstützung. Wir müssen uns nur der Lektüre hingeben, danach mit jemandem, der sich auskennt, darüber reden, um zu verstehen, und dann mutig ins Gespräch stürzen, leidenschaftlich, gut argumentierend, sprachlich differenziert, eloquent und klar, angemessen moderat im Ton, lösungsorientiert, auf die gemeinsame Zukunft ausgerichtet, großzügig und humorvoll. Es geht um nichts weniger als um unser künftiges Zusammenleben. Dafür lohnt sich jeder Aufwand. Und jede zornige Entrüstung!

Einen bemerkenswerten Zornesausbruch lieferte Georg Schramm als Dombrowski hier: Politikersprache. Sehr gute Entrüstungen finden sich beim eleganten Lästermaul Joseph von Westphalen in den beiden Entrüstungsbüchern „Warum ich trotzdem Seitensprünge mache“, und „Warum ich Monarchist geworden bin“. Schon vor langer Zeit geschrieben, aber aktuell wie ehedem!

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