„Wer rastet, der rostet“, meint der Volksmund, die bekannt dumme Schnauze. Und meint damit nur etwas, das heute so wichtig ist wie ehedem: Bewegung, körperliche und geistige, ist von vitaler Bedeutung für den Menschen. Der Spruch taugt deshalb wirklich nicht als Begründung für die Erfindung einer Unternehmenskultur ohne Pausen! Da bleibt die Begründung so blödsinnig, wie die eigentliche Entwicklung. In eine Pause all die Themen reinzupacken, die im sonstigen Alltag nicht besprochen, oder entschieden werden konnten, oder solche Gespräche zu führen, für die vorher keine Zeit war, ist nicht nur unsinnig. Es ist auch ungesund! Und unproduktiv! Und überhaupt! Gerade in den Führungsetagen wird die Pause gering geschätzt. Was selbstredend auf die Mitarbeiter*innen abfärbt. In diesem Fall werden Führungskräfte ihrer Vorbildfunktion also durchaus gerecht.
In vielen Unternehmen ist die aktuelle Situation vor allem dadurch gekennzeichnet, dass, unter dem Stichwort „Agile Transformation“ ein Wandel stattfindet, der alle Abläufe und Hierarchien umfasst. Es geht dabei vor allem um die Frage, wie Unternehmen schneller und flexibler auf ihre Umwelt reagieren und in einer VUKA-Welt (VUKA = volatil, ungewiss, komplex, mehrdeutig) erfolgreich agieren können. Im Zentrum steht eigenverantwortliches, selbstgesteuertes Handeln, gerahmt von verschiedenen Prinzipien, deren wichtigste Vertrauen und die Transparenz von Wissen sind. In diesem Zusammenhang liegt eine Erkenntnis unmittelbar auf der Hand, eine empirisch belegbare Erkenntnis sozusagen: Die meisten Führungskräfte und Mitarbeiter*innen sind mit ihrer Selbststeuerung überfordert, nicht nur, aber vor allem auch dann, wenn es um Pausen geht!
Unbedacht bleibt ebenso die arbeitspsychologische Erkenntnis, dass, wer regelmäßig Pausen einlegt, sich besser fühlt, weniger schnell ermüdet, und die Arbeitsleistung steigert. Aus der Hirnforschung wissen wir, dass das Gehirn eine gewisse Zeit braucht, um Informationen zu verarbeiten und einzuordnen, in der Regel benötigt es wenigstens 10 Minuten, um sich auf ein neues Thema zu konzentrieren. Solche Ruhephasen fördern auch Kreativität, denn die besten Ideen kommen oft unverhofft – auf dem Weg in die Keramik-Abteilung, oder in die Kantine.
Unangenehm an dieser Situation ist für mich die beinahe schon nötigende Lobpreisung tarifrechtlicher Pausenregelungen. Ja, ich bin mir sehr wohl im Klaren darüber, dass das auch eine gewerkschaftlichen Errungenschaft ist, die der herrschenden Arbeitgeberkaste abgerungen wurde. Gut so! Da ich aber seit langem auch weiß, dass in den Gewerkschaften die gleichen Betonschädel ihr dogmatisches Werk verrichten, fällt mir solches Lob bisweilen recht schwer!
Nun denn: Pausen sind wichtig! Aber nicht nur im beschriebenen Kontext. Auch in der Kunst sind sie von existenzieller Bedeutung. Sowohl in der Rhetorik, im Theater, in der Poesie, oder in der Musik sind sie wesentlich. Sie erhöhen Spannung, machen neugierig, lassen Zeit zum Nachdenken und Verstehen, verleihen dem Folgenden Bedeutung, verstärken den Überraschungseffekt, steigern oder reduzieren Dramatik, macht einen Unterschied erlebbar: Die Pause ist für die Kunst unerlässlich!
Und wenn ich das jetzt auf das Leben in Unternehmen übertrage, stelle ich fest, dass diese Aussage umstandslos auch dort gilt. Ein „Pausen-loses“ Arbeiten ist nicht nur nicht effektiv, es ist pathologisch! Ich bin ein Verfechter der slow-food-Bewegung, seit langem denke ich einigermaßen sehnsüchtig an mehrstündige Mahlzeiten, vornehmlich um die Mittagszeit. Und immer in Italien am Meer, wo sonst! Ja ja, meinen Hang zur verklärenden Romantik will ich nicht abstreiten. Aber Corona lehrt doch eindringlich, dass wir uns insgesamt auf einer Schussfahrt in den Abgrund befinden. Und dort auch landen, wen wir nicht gegensteuern. „Von allem weniger“ heißt doch das Gebot der Stunde, und die Antwort auf die Frage „Wieviel ist genug“ steht ganz vorne, das Buch mit dem gleichnamigen Titel gibt ökonomisch die Richtung vor. Die „Grenzen des Wachstums“ sind seit dem 1972 veröffentlichten Bericht durch den „Club of Rome“ bekannt, also dort verwendeten Szenarien enden in der Katastrophe. Digitalisierung treibt uns zu einem immer schnelleren Leben, dessen Fliehkräften zu widerstehen immer weniger Menschen noch die Kraft haben.
„Piano, piano“ würde eine flanierende Italienerin vielleicht sagen, und umstandslos vom Espresso am Nachmittag zum vorabendlichen Aperitif wechseln, mediterranes dolce far’ niente, die italienischen Momente im Leben. Eben. Etwas mehr Italianitá, bitte!