Warum ein Engagement in der Politik, also in den demokratischen Institutionen, notwendig ist, war mir eigentlich schon immer klar. Ich wollte es aber nicht wahrhaben, und habe mich allem möglichen darüber hinweg argumentiert. Das funktioniert inzwischen nicht mehr, der Zorn wir größer. Der Zorn über die Diskrepanz, die Platon wunderbar hellsichtig beschrieb: „Diejenigen, die zu klug sind, um sich in der Politik zu engagieren, werden dadurch bestraft werden, dass sie von Leuten regiert werden, die dümmer sind als sie selbst.“ Mit Strafe ist natürlich keine körperliche Züchtigung o. ä. gemeint, sondern das fortwährende Leiden unter der offensichtlichen Inkompetenz, den mediokren Verlautbarungen, den unsinnigen Entscheidungen. „Arsch huh, Zäng ussenander!“ war mal ein Schallplatten-Sampler betitelt, Kölschen Slang, treffendes Motto, zum Mitmachen auffordernd. Es gab viele appellhafte Initiativen in der weitgestreuten Kulturszene, die Resonanz jedoch nahm kontinuierlich ab. Wir befinden uns zur Zeit fast in einem Allzeittief, wenn es um organisierten Aktivismus geht. Viele, die jeden Tag Nachrichten konsumieren, gehören keiner Organisation an, nehmen an keinen politischen Versammlungen teil, arbeiten nicht mit anderen in einem politischen, kulturellen oder gesellschaftlichen Rahmen, wie kurz auch immer, zusammen, lassen die politische Dimension in Gesprächen außen vor. Alles belegbar, nachlesbar, untersucht.
Ich habe vor längerer Zeit in einem Interviewschnipsel mit dem damaligen Fraktionsvorsitzenden der Berliner Piraten-Partei etwas gelesen, was mich seitdem nicht mehr loslässt. Sinngemäß meinte er damals, dass es ihm gehörig auf den Wecker gehe, wenn er all die klugen Menschen sehe, die sich, entspannt Rotwein trinkend, in der profunden Kritik der politischen Situation ergehen, ohne entsprechende Konsequenzen zu ziehen. Intellektuelle Spielereien gebildeter Menschen, deren einziges Ziel es wohl sei, sich mit dem Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen, die eigene Untätigkeit schön zu saufen. Wenn sie also schon keinen Mumm hätten, um sich in einer Partei oder etwas ähnlichem zu engagieren, weil das zu öde sei, dann sollten sie eben noch 3-4 Freund:innen mitnehmen, dann wäre es sicher lustiger.
Die Entrüstung war (und ist) nachvollziehbar. Jedenfalls denke ich seit der Zeit auf dieser Idee herum, und spüre dabei ständig den leichten, aber spürbaren Anflug eines schlechten Gewissens. Da ich keine 3 weiteren Menschen finden konnte, die, wiewohl gleichen Sinnes, sich dazu durchringen konnten, den Schritt in die politische reality show mitzugehen, machte ich diesen Schritt allein. Und das habe ich jetzt davon, ich bin nun ein Bestandteil der Kommunalpolitik. Erste Eindrücke fallen ernüchternd aus, es will sich (noch) keine Euphorie einstellen, Leidensfähigkeit wird von den etablierten Mitstreiter:innen als Kernkompetenz bezeichnet. Erstarrte Rituale, klischeehafte Kommunikation, tradierte Politiksymbolik, — es wird sicher nicht einfach werden, es erfordert einen langen Atem, viel Geduld und Unterstützung. Gleichwohl, es ist ein Anfang. In meinem Beratungskontext wird Unwissenheit als Kompetenz angesehen, durchaus eine gute Herangehensweise, um ein bestehende System zu irritieren. Bleibt die Frage nach der Stärke des irritierenden Impulses, ein Erfahrungswert. Im Fokus steht wie immer die Kommunikation, der Dialog. Ich hatte den Eindruck, dass der ein oder die andere überhaupt nicht an einem solchen interessiert sind, gleichwohl das Gegenteil behauptend. Natürlich lässt sich niemand zum Gespräch zwingen. Aber der Austausch von Argumenten schient mir dermaßen fundamental zu sein, dass eine politische Arbeit ohne ihn unvorstellbar ist. Und auch wenn dieser Austausch in den sogenannten sozialen Netzwerken auch denkbar wenig entwickelt ist, so sollte er doch IRL (in real life) bei den politischen Entscheidungsträger:innen zur demokratischen Grundausstattung gehören.„Reden ist unser Privileg. Wenn wir ein Problem haben, das wir nicht durch Reden lösen können, dann hat alles keinen Sinn.“ Rosa Luxemburg meinte tatsächlich den Austausch von Argumenten, im Ringen um das bessere Argument eine Entscheidung für alle Menschen entwickeln war das damit verbundene Ziel. Es war nicht das Geschwätz gemeint, das Zerreden wichtiger Themen mit gestanzten Worthülsen, das Übertünchen mit Phrasen, die Herrschaftssprache, die viel sagt, um nichts zu sagen. Deshalb möchte ich der Sprache wieder zu der Bedeutung zu verhelfen, die ihr eigentlich zusteht: Sie ist das wichtigstes Instrument für eine gelingende Kommunikation. Und damit die Grundlage für gute Beziehungen.