„Den Hass aus der Welt zu vertreiben…“

Von Hans-Dieter Hüsch ist das folgende Gedicht:

„Den Hass aus der Welt zu vertreiben

Ihn immer neu zu beschreiben

Damit wir bereit sind zu lernen

Dass Macht und Gewalt, Rache und Sieg

Nichts anderes bedeuten als ewiger Krieg

Auf Erden und dann auf den Sternen“

Nun, in der Tat muss ich feststellen, dass in Corona-Zeiten sich ein unangenehmer Charakterzug der Menschen nach vorne drängt, den ich auch vor Corona schon ärgerlich fand: Das Rechthaben. Gepaart mit Besserwissen stellt es eine herausfordernd nervtötende Mischung dar, die jedem konstruktiv-kritischen Gespräch, wenn es denn überhaupt mal sich ergibt, sofort den Garaus macht. Und dann, trotz alledem, noch den Kopf oben zu behalten, den eigenen Anspruch nicht aufzugeben und weiter hoffnungsfroh und zuversichtlich zu bleiben – das ist nicht nicht einfach. Es ist verdammt schwer!

Und irgendwann wird das ohnmächtige Anreden, Anschreiben gegen das scheinbar Unabänderliche unerträglich. Resignation wird verführerisch, ebenso das wohlige Gefühl der Klarheit und Gemeinsamkeit, wenn man einstimmt in das Phrasengedresche und den Mainstream-Haudrauf auf Medien, Politik, Gutmenschen. Den Rest gibt uns eine Gesprächskultur, deren markanteste Eigenschaft eine wortreich kaschierte Unfähigkeit zuzuhören ist, Sprache ersoffen im Brackwasser der Beliebigkeit. Karl Kraus beschreibt das wunderbar pointiert: „Es gibt leider Leute, die nicht einmal das für sich behalten können, was sie nicht wissen. Es genügt nicht, keine Gedanken zu haben, sondern man muß auch in der Lage sein, sie nicht zum Ausdruck zu bringen.“

Jaha, den Brackwasser-Begriff habe ich schon wiederholt verwendet. Aber nicht, weil ich dement bin. Was zwar schon sein könnte, mir fällt das ja nicht gleich auf. Ich verwende diese Begriff, weil sich an seiner Relevanz nichts ändert. Es ist immer noch wie beschrieben. Es wird eher schlimmer. Und wenn ich dann noch die Erkenntnisse des Hirnforscher Korte mir in Erinnerung rufe, dann wird’s erst mal ganz finster. Es ist messbar, dass die Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge zu durchdenken, schlechter wird. Messbar! Nachweisbar! Also eine Tatsache! Keine Meinung! Interessant ist der Zusammenhang, der jetzt auf der Hand liegt: Wenn die Entwicklungen und Schwierigkeiten immer komplexer werden, unsere intellektuelle Kraft aber (messbar!) abnimmt – dann stelle ich mir die Zukunft, nun ja, nicht eben rosig vor. Vielmehr ist das ein veritabler Grund für eine ausgewachsene Depression!

Allein: Es hilft ja nichts, uns einzureihen in das sauertöpfische Mienenspiel der Allzeitverzagten, also diejenigen, die immer schon wissen, warum irgendetwas nicht funktioniert, nicht geht, noch nie ging, noch nie so gemacht wurde! Also die, denen das Lamento quasi zur zweiten Natur geworden ist, und die sich an der alten Weisheit von Peter Grohmann erfreuen: „Voraussehbare Niederlagen waren schon immer meine Stärke!“ Ich höre schon Georg Schramm, alias Lothar „Gummihand“ Dombrowski, zürnen: „Wir haben kein Recht auf Resignation!“ Dann erinnere ich mich dunkel an Platon. Und es ist ganz aus mit der eingeredeten intellektuellen Ruhe: „Diejenigen, die zu klug sind, sich in der Politik zu engagieren, werden dadurch bestraft, dass sie von Leuten regiert werden, die dümmer sind als sie selbst.“

Bei all dem, was so passiert, drängt sich aber schon die Frage auf: Warum machen wir das eigentlich alles immer noch? Wir, die wir uns aus Überzeugung zu den Gutmenschen zählen. Warum ist uns nicht egal, wie die Welt sich weiterentwickelt? Eine Welt, die sich unerwartet entwickelt, die unvorhersehbarer, komplexer und mehrdeutiger wird.

Es geht ums „Standhalten im Dasein“, titelte einst Hans-Jochen Gamm, Professor für Pädagogik an der TU Darmstadt. Ums Einmischen. Um Verantwortung. Um Hoffnung, Mut, Glaube, Gestaltungswille. Um Engagement mit Kopf, Herz und Hand (Peschtalozzi hat’s erfunden!). Nein, das ist keine eselhafte Sturheit, auch kein Altersstarrsinn. Vielleicht eine Prise praktischer Idealismus, bei all dem theoretischen Pessimismus sicher ein ausgleichendes Moment. Es ist auch Tradition, die geronnene Erfahrung durch beeindruckende Begegnungen. Und Angst vor dem Klischee des mürrischen Alten.

Und jetzt? Nicht nur Platon im Kopf, sondern auch einen früheren Politiker der inzwischen verschwundenen Piraten-Partei. der meinte einmal, dass es ihm tierisch auf den Wecker gehe, wenn er entspannt reflektierenden Rotweintrinker*innen beim Nachdenken zuhören soll. Nicht wegen des entspannten Trinkens, sondern weil sie mit ihren Analysen viel zu oft richtig lägen, sich zu schade seien, das in Politik umzusetzen. Sein Rat lautete sinngemäß: Wenn euch die politische Arbeit in den demokratischen Institutionen, Parteien, Gremien zu blöd ist, nehmt doch 3-4 Freund*innen mit, dann wird’s auch wieder lustig. Ich fand diesen Vorwurf so unmittelbar einleuchtend, dass mich seitdem ein schlechtes Gewissen drückt. Manchmal. Inzwischen betätige ich mich auf kommunalpolitischer Ebene, leider habe ich keine Freund*innen gefunden, die mitmachen wollten. Nun denn.   

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