Flanieren und improvisieren – auf was es heute ankommt!

„Ins Gelingen verliebt“ war einst Erst Bloch, einer der großen deutschen Philosophen des 20. Jahrhunderts. Die Aussage steht für eine zentrale Charaktereigenschaft von Menschen, die heute mehr denn je gebraucht werden, nämlich Menschen, die Hoffnung machen können. So grundsätzlich sie auch gelten mag, ganz besonders gilt sie für Menschen, die als Führungskräfte in Politik, Wissenschaft und Wirtschaft tätig sind, weil ihnen dort eine besondere Vorbildfunktion zukommt.

Dabei geht es vor allem um die Fähigkeit weiter zu denken, über den Ordnungsrahmen hinaus zu denken, phantasievoll-visionär das zu denken, was noch nicht gedacht war, Bestehendes in Frage zu stellen, sich von ungewöhnlichen Zusammenhängen überraschen zu lassen.  Um die aktuellen komplexen Probleme durchdenken und lösen zu können, braucht es noch eine „initiative“ Haltung, also einer Haltung, die anfängt und anpackt, und sich an der Frage orientiert, wie etwas möglich sein kann. Und es braucht ein gutes Netzwerk, um den Vorteil der Zusammenarbeit mit anderen Menschen nutzen zu können. All das macht es notwendig, dass das Thema Führung neu gedacht werden muss. Die Tradition der hierarchisch-patriarchalischen Führung, in der eine*r allein über Wohl und Wehe bestimmt, Joseph Schumpeter hat sie als „Haudegen“ bezeichnet, ist eine, die sich überlebt hat. Sie hat es wohl nur noch nicht gemerkt.

Die Quelle einer initiativen Haltung des Möglichmachens ist Neugier, Wissen wollen, Erkenntnisdrang, es ist eine Haltung, die Überraschungen gern hat, die sich gerne irritieren lässt, die nicht sucht, sondern findet. Das hat auch Pablo Picasso über sich gesagt hat:

„Finden – das ist das völlig Neue! Das Neue auch in der Bewegung. Alle Wege sind offen und was gefunden wird, ist unbekannt. Es ist ein Wagnis, ein heiliges Abenteuer!“

Und es ist der Kern des Flanerie-Begriffs, wie ihn Walter Benjamin definiert hatte. (s. auch den Beitrag zu diesem Thema in diesem Blog)

Ich kritisiere also ein Haltung, die einerseits überheblich ist im sicheren Gefühl, ohnehin zu wissen, was richtig ist, und andererseits, in einer angenehm-gleichförmigen Unselbständigkeit verharrend, auf den Befehl von oben wartet. Unabhängig davon, ob diese Haltung von einer Führungskraft in einem Unternehmen verkörpert wird, oder sonstwo, – mich hat diese Haltung immer schon erzürnt! Sie engt ein, begrenzt Engagement, provoziert Ärger und Unzufriedenheit, und führt direkt zu angepassten, geduckten Menschen, denen der Mut und die Phantasie fehlt Bestehendes neu zu denken, denen mit Angstmechanismen, autoritärem Verhalten, und existenziellem Druck die Fähigkeit, Utopien zu denken systematisch ausgetrieben wurde. Das Denken ist immer grenzenlos, das aktuelle System in den herrschenden Institutionen dieser Gesellschaft hat es jedoch wirkungsvoll eingehegt, eingezäunt, es unter das „Joch des Nutzens“ (F. Schiller) gezwungen. Aber gerade angesichts komplexer Problemkonstellationen wie der Corona-Pandemie, der Klimakatastrophe, Hungersnöten, etc. fällt uns diese quasi in Beton gegossene Überzeugung, alles sei plan-, vorherseh- und beherrschbar, krachend vor die Füße.

Um das wieder zu ändern, werden wir gehörig üben müssen, harte Arbeit, wie bei jedem Entzug!  Flanieren und improvisieren sind dafür gute Methoden. Also einerseits eine kontinuierliche Gewöhnung an das Finden, ohne etwas zu Suchen. Und andererseits etwas tun, etwas entscheiden, über etwas sprechen, ohne über alle relevanten Information zu verfügen. Im Begriff Dilettantismus ist diese Kompetenz genau beschrieben (dazu auch hier im Blog eine ausführliche Beschreibung in einem frühen Beitrag). Zeit und Muse sind wesentliche Voraussetzungen dafür. 

Ich gehe noch einen Schritt weiter. Selbstverständlich ist es eine individuelle Aufgabe, diese Entwicklung anzustoßen, und fortzusetzen. Gleichwohl ist es aber auch Aufgabe der Unternehmen und Organisationen in unserer Gesellschaft, ihre interne Fort- und Weiterbildungen entsprechend neu zu konzipieren. Und wenn sie schon dabei sind, lassen sie sich auch noch von dem Gedanken leiten, das Dogma vom ständigen Wachstum zu durchbrechen. Seit dem Bericht des Club of Rome 1972 ist klar, dass es sich dabei um eine Ressourcen vernichtende Ideologie handelt, die für die  Menschheit fatale Folgen hat. Es ist höchste Zeit, diese Erkenntnisse auf unsere heutige Situation anzuwenden.

Wenn ich in die Welt schaue, bieten sich mir allerdings so viele Anlässe, die Hände überm Kopf zusammen zu schlagen, dass sie beinahe dort angewachsen sind! Denn dass ein Umdenken in diesem Sinne stattgefunden hätte, lässt sich nicht nur nicht beobachten, alles deutet eher darauf hin, dass post-Corona so aussieht wie prä-Corona: Versteinerte Strukturen, erstarrtes Denken, Augen-zu-und-durch, eloquent begründet mit den altbekannten Phrasen, hermetisch abgeschottet gegen all das, was an Reflexionskraft inzwischen sich Bahn gebrochen, und in der Öffentlichkeit eine recht engagierte Diskussion in Gang gesetzt hatte.

Zweifelsohne bin ich weit davon entfernt, panisch zu werden, oder resigniert alles hinzuschmeissen. Dabei hilft ein Blick in die Lektüre, wie so oft! Bregman und Welzer, beispielsweise, weisen nachdrücklich darauf hin, dass wir in unserer Medienlandschaft leider viel zu wenig darüber erfahren, welche Initiativen sich gegen diesen Rückfall ins fatale Vorher bilden. Und Erfolg haben. Es sind viele gute Menschen mit guten Ansätze dabei, die die Stimmung im Lande wesentlich stärker beeinflussen könnten, wüßte man mehr darüber! Aber es gibt sie! Und gerade dann gilt der alte Spruch von Georg Schramm umso eher, dass denkende Menschen kein Recht auf Resignation hätten. Der Verführbarkeit der Resignation widerstehen heißt das Gebot der Stunde. Und auch wenn Kästner revolutionär-knapp skandiert: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“, – die Fahnen bleiben im Keller. 

Ergänzende Texte aus brand eins: „Unendliche Weiten“, und aus t3n ein Interview mit Rutger Bregman: „Führung neu denken“. Von ihm auch der Bestseller „Im Grunde gut! Eine neue Geschichte der Menschheit“, Rezension und Interview auf Deutschlandfunk. Beispiele, wie es anderes gehen kann, im Almanach von „Futurzwei – Stiftung Zukunftsfähigkeit“, die Harald Welzer ins Leben gerufen hat, und in der er auch noch mitwirkt, und der Hinweis auf eines seiner Bücher mit dem programmatischen Titel „Alles könnte anderes sein.“ Verschiedene Videos, Interviews, Kommentare auf der Seite der Wochenzeitung „Der Freitag“.

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